Montag, 25. September 2017

Pause als Wille und Vorstellung. Zur Eröffnung der Ausstellung "Pause" (kuratiert von Silke Maier-Gamauf), Mag 3, Wien
















Chris Zintzen: Pause als Wille und Vorstellung. Zur Eröffnung der Ausstellung

PAUSE

Kuratiert von Silke Maier-Gamauf
Projektraum MAG3 / Gue Schmidt



09.09. - 04.10.2017
Eröffnung: 08.09., 19:30 Uhr

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I

PAUSE als AUS, Pause im „Stop and Go“, PAUSE als Arretierung eines Fortlaufs („Hold“ ); 
das Phänomen PAUSE verortet sich in der Dichotomie von „Bewegung und Stillstand“, von „Kontinuum und Unterbrechung“. - Eine Dichotomie, die - wie später zu erläutern sein wird - recht eigentlich eine Dialektik ist. 

PAUSE als temporäre Restituierung („Zurückgabe“) des individuellen Eigen-Raums.

PAUSE als Re-Generation, 
PAUSE als Re-Habilitation - zur gesundheitlichen, ökonomischen, sozialen Re-Habilitierung einer Person. 

PAUSE als Off-Zone der Rekonstitution und zur Rekonstituierung von (gesellschaftlich geforderter und im Rahmen des Bruttoinlandsproduktes wertschöpfender) Arbeitskraft.

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II

Kulturelle Traditionen der PAUSE:
  • Religion: Feste, Rituale, Rast- und Fast-Zeiten
  • Staat: Die Regelung von Arbeitszeiten, die sog. „Ruhensbestimmungen“, der Mindesturlaub, die Karenz, der - vom SV-Träger zu überprüfende - „Krankenstand“, die Kur, die Pension, der Pflege“urlaub“
  • Reise: Pilgerfahrt, Wallfahrt, Ausflug, Sommerfrische, Reise
  • Freizeitwirtschaft, Freizeitindustrie
  • Konsum und Vergnügung
  • Therapieindustrie

Kunst: Teil der Freizeitwirtschaft, antikes Konzept des „negotium“ (⇒Verf.: "Beatus ille qui procul negotiis"), gefolgt von der „Muße“ des bürgerlichen Lebensstils.

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III

Die Dialektik der PAUSE besteht darin, dass sie auf das Vorhanden-Sein von ETWAS bezogen bleibt: Ohne Tätigkeit / Aktion / Empfang / Connection kann es keine pausierende Untätigkeit geben, keine Nicht-Aktion, keinen Nicht-Empfang, keine Dis-Connection.

Umgekehrt kennen wir das Phänomen, dass wir aus dem Zustand des OFF wieder in den Zustand des ON hinüber wollen, uns wieder in den Strom der allgemeinen Kommunikation, der Geschäftigkeit, des Dabei-Seins und Präsent-Seins „einklinken“ wollen:

„Einklinken“ und Ausklinken“
Tätigkeit und PAUSE
funktionieren wie Freuds „Fort“ oder „Da“-Spiel …. jedenfalls bezogen auf 1 bestimmtes System. 

In Wahrheit switchen wir, wenn wir in einem System PAUSE machen, oft recht eigentlich in ein anderes System: Wir machen PAUSE im Büro, um dem Vektor unseres Lebens PAUSENlos im Privatleben zu folgen, in der Familie, in der Freizeit, in der Beziehung, in unserem Nebenjob, in unserer Rolle als Vater, Mutter von Kindern, in der Rolle als Kind von vielleicht betagten Eltern usw. usw.

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IV

Die aktuelle Konjunktur des Wortes „Auszeit“  mag als Indiz gelten: Selten wurde der imaginäre Andere Ort (U-Topos) so deutlich als solcher benannt. Die AUS-Zeit signalisiert den Wunsch nach einem OFF jenseits des ewigen ON, ein Disconnected-Sein, eine Nicht-Sichtbarkeit.

Die von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter erzwungene AUS-Zeit kann auch als beengende, beschränkende UNABKÖMMLICHKEIT empfunden werden: Als Ausschluss aus der „Realität“, aus der „Produktivität“, ja gar aus der „Gesellschaft“.

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V

Eine Eigenschaft teilt die Vokabel der PAUSE mit der Vokabel der FREIHEIT: In zusammengesetzten Wortbildungen tauchen beide auf sowohl als Abgrenzung VON etwas auf wie auch als Voraussetzung ZU etwas, bzw. UM etwas zu tun: 

„PAUSE von“, „PAUSE zu“ funktioniert in Konstruktion und Sinnbildung also wie „Freiheit von“ und „Freiheit zu“: 
Sende-Pause - Freiheit vom Sendebetrieb 
Babypause - temp. Freiheit vom Beruf, zum Betreuen eines Säuglings
Barriere-Freiheit - Freiheit von Hindernissen 
Redefreiheit - Freiheit zum Reden, was man denkt

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VI RUNDGANG & VORSTELLUNG

Silke Maier-Gamauf hat eine Ausstellung kuratiert, in denen viele Bedeutungsfelder des oben genannten Spektrums aufblitzen. Die Arbeiten der 12 Künstlerinnen und Künstler durchstreifen das Gelände der PAUSE auf ebenso originelle wie überraschende Art und evozieren mannigfaltige Nuancen der oben angerissenen Traditionen, Konzepte, Valenzen. 

1. STOPH SAUTER
schlaFEIN / OFF / PAUSE-IKON / SEI LENZ 2016, T-Shirts bedruckt in Kartonschachtel

Konkrete Poesie, die man am Leib tragen kann: 
  • Das in der Audio- und Videotechnik gängige Piktogramm für PAUSE; 
  • der lettristisch und typographisch markante Begriff den OFF; 
  • die Kontrastierung eines akustisch eindeutigen Begriffs („silence“) mit unerwarteten und mehrdeutigen phonetischen Umschriften: „Sei Lenz!“ als Aufruf, den Frühling darzustellen, respektive, es wie Georg Büchners gleichnamiger Held zu halten (Erzählung, posthum 1839). 

Stoph Sauters künstlerisches, gestalterisches, poetisches Nachdenken über das Phänomen PAUSE auf der Leinwand des körpernah getragenen Serienprodukts „T-Shirt“ überträgt ein künstlerisches Konzept ins tägliche Leben und teilt die symbolischen Implikationen dieses eher rezenten Mediums.

Das bedruckte T-Shirt führt heute die alten Traditionen von Emblematik und Blasonierung (Wappengestaltung) fort: Es ist heute üblich, symbolische Aussagen über sich selbst, über die eigene Herkunft, über die Zugehörigkeit zu einem Urban Tribe (Stamm) oder einer anderen Community im Medium des T-Shirts zu treffen. Wir „zeichnen uns aus“, indem wir als Sandwichmänner in eigener Sache unsere Lieblingsbands, unsere Identifikationsmarken, unsere Labels, Inhalte und Parolen am eigenen Leib durch die Außenwelt spazieren tragen.

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Bleiben wir beim Thema der Konzeptuellen Schneiderei und Schnittkunst: 

2. VERONIKA SCHUBERT
SÄG GAAD [Was du nicht sagst] Format 16:9, FullHD, 27 min, 2010, Auflage 3+II

Hier haben wir es mit der dichtgefügten Textur einer Video-Arbeit zu tun. Es handelt sich um eine penibel gefertigte Stop-Motion-Animation, die vorführt, wie in fliegender Eile, mit schwirrendem Fäden, Wörter und Lautfolgen genäht werden. Emsig, unablässig, pausenlos. 

Die Nähnadel folgt dabei den linear skizzierten Schriftzügen. Als handle es sich um eine Stickerei, bringen die vollendeten Nähte die Wortgestalten zum Erscheinen.

Wörter  wie „hei ou“, „hô hei“, „hô-hô“, „inn“, „oha“, „botz“ entstammen dem Wortlaut der gesprochenen Sprache. Genauer: Sie sind Füllwörter des Lustnauer Dialekts, die von Beteiligten eines Dialogs ständig und unwillkürlich ins Gespräch eingeflochten werden, um NachdenkPAUSE zu überbrücken und um den Fluss der Wechselrede in Gang zu halten.

Laute als spontane Interjektionen, die den Gesprächsfaden nicht abreissen lassen sollen: Jeder, der Live-Gespräche aufnimmt und schneiden muss, kennt solche stimmlichen Zwischenpartikel aus leidvoller Erfahrung.

Man könnte mit Veronika Schubert sagen: Es verbindet uns und näht uns zusammen mehr als nur der wörtlich (und bewusst, absichtsvoll) kommunizierte Sinn. Es verbindet uns und näht uns zusammen auch das in der Laut-Geste sich ausdrückende Unbewusste und die in der Lautgeste realisierte Emotion. Es verbindet uns und näht uns zusammen die gesellschaftliche Konvention, den Gesprächsfaden möglichst nicht abreissen zu lassen und eine PAUSENlose Kommunikation zu gewährleisten.

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3. ROMANA HAGYO / SILKE MAIER-GAMAUF
TEST.TEST.LIEGEN 2016/17, Fotocollage, 200 x 150 cm 

Wir haben es hier mit einem Bild ohne stabilen Bildträger zu tun, einem Bild das sich - praktisch nur Information, praktisch ohne eigenen Körper - an die Galeriewand anschmiegt und erst dort seine darstellende Existenz/Akzidenz realisiert*. Die um ein leeres Zentrum arrangierte Fotocollage gibt ein Bild aus Vielem, ein Bild aus Fülle und Leere zugleich.

Bei Gelegenheit von gemeinsamen Stadtexpeditionen erkunden die beiden Künstlerinnen Romana Hagyo und Silke Maier-Gamauf urbane PAUSENräume, Ruheräume, um deren Nutzung durch die Menschen zu erkunden. Oder: Um ihre Mitmenschen im urbanen Raum dabei zu beobachten, wie sie bestehende Strukturen und Infrastrukturen nutzen, um Rast zu halten, Ruhe zu finden, PAUSE zu machen. 

In der Nachstellung der Beobachtungen werden diese Beobachtungen konkretisiert und fotografisch inszeniert. Daraus fügen sich Collagen, deren Elemente nach „malerischen“ Kriterien gefügt werden: Bei „Test.Test.Liegen gruppieren sich Architekturelemente und Körperteile (namentlich Beine und besportschuhte Füße) um ein leeres und praktisch ausgeschnittenes Zentrum, welches womöglich mitten in das Zentrum der PAUSE (als OFF, als Mallarmé’sches „blanc“) führt. 

Damit wird das Kunstwerk offen und porös, integriert den Ausstellungsraum und den Betrachter. Das Werk öffnet sich uns und sagt Adé zur Idee des Geschlossenen, perfekten und unangreifbaren Kunstwerks: Selten kommt „Flachware“ wie Fotografie so räumlich, so konkret und so physisch zur Wirkung. 

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Gegenüber, an der der anderen Schmalseite dieses Raums, begegnen wir 

4. ANDREAS PUTZER
ARBEIT / BELOHNUNG / PAUSE 2017, 70 x 100cm, Acryl, Flasche: 26X6,5cm, Glas

Ein Raum auf Leinwand, eine (gefüllte) Flasche Bier davor und ein Sinn, der sich wohl unmittelbar erschliesst: Das strenge Weiß des Raums kann auf Arbeitsraum wie Ruheraum gleichzeitig hinweisen: Beides wirkt seren, rein, vielleicht sogar aseptisch, jedenfalls: klar, durchgeistigt, aufgeräumt. Die konkrete Flasche (Bier) hebt sich davon in ihrer 3-Dimensionalität ab, in ihrer physischen Präsenz, in ihrer handgreiflichen Assoziation des „Feierabends“. 

Das 3-D-Objekt als „Ausstülpung“, als Vorbote und Außenposten des zweidimensionalen Gemäldes vermag, die zwiefache Räumlichkeit des Kunstwerks mit dem realen Galerieraum zu verschränken: Es entsteht ein reziprokes Bezogen-Sein von Kunstwerk und Ausstellungsraum, indem der im Kunstwerk abgebildete White Cube auf den White Cube der Galerie verweist und umgekehrt. 

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5. SABINE MARTE
5a.KÖRPER 1, KÖRPER 2 2016, Wandzeichnung variabel

Etwas zeigen, ohne es direkt abzubilden oder komplett auszumalen: Die anmutige Wandzeichnung der Künstlerin Sabine Marte konfrontiert uns mit einer maximal reduzierten Bildsprache, die sehr abstrakt (als Bildzeichen, Symbol, Signal) und sehr konkret (Quasi-Fresco unmittelbar auf der Tünche der Wand, Direktheit, Physikalität) empfunden werden kann. 

Gerade in ihrer Stilisierung und Reduktion können die grafischen Kürzel zu Containern mannigfaltiger Assoziationen werden, zu Triggern von Denk-Bildern, die zunächst und vornehmlich aus den Köpfen und aus dem Bildgedächtnis der Betrachter stammen.

Haben wir einmal den Titel dieser Arbeit zur Kenntnis genommen, läuft unsere Assiziationsmaschine (geprägt durch kulturelle Codierungen) ohnehin von selbst; wir führen damit auf recht voraussehbare Weise jene Konjekturen durch, die die Künstlerin mit ihren Bildsignalen quasi programmiert. 

Die Aussparung, die De-Kontextualisierung verbindet diese Arbeit mit der Collage von Silke Maier-Gamauf und von Romana Hagyo, setzt ähnliche Prozesse des Sehens und des „Weiterdenkens“ in Gang. 

5b. SABINE MARTE: / PERFORMANCE / (Video, Sound, Stimme: Raum, verschiedene Mikrofone)

Fort von dieser sehr poetischen Linie führt die Performance, die uns Sabine Marte nach Einbruch der Dunkelheit hier zeigen wird: In bewusst trashiger Ästhetik werden visuell  verfremdete Sequenzen aus dem TV-Alltag montiert. Der Fokus liegt dabei auf sehr selektiven und zu immer neuen Sequenzen kombinierten Motiven (Frau, Mann, Kind). 

Auffallend ist die äußerst rhythmische Montage der Bilder (weitgehend handelt es sich um Talking Heads, die TV-üblichen Sprechköpfe), die in dieser Eigenschaft mit live aufgeführten, live gesprochenen, live gesungenen akustischen Zuspielungen, Worten, Rufen der Künstlerin akustisch illustriert, kommentiert usw werden. 

Die Video-Figuren erscheinen solcherart als Marionetten, Puppen, Spielfiguren der Künstlerin, die den Video-Kunstgeschöpfen ihre reale Stimme leiht. Das hat etwas fundamental Einleuchtendes und Mitreißendes, welches an die stimmlich-medialen Experimente Laurie Andersons denken lässt oder an den Max Headroom der „Art of Noise“. 

Man könnte man in diesem Zusammenhang über die Medialität von Film, TV und Sprechkopf-Rollen nachdenken, über die Repräsentation der Geschlechter, über das gesellschaftliche Modell der Familie und des Hauses. Sehr reizvoll wäre es, Video und Live-Performance unter dem Aspekt der Narrativik und des Story-Tellings zu analysieren. 

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Kunst als analytische Korrodierung vorgefundener Bilder und Konzepte also.

6. RAHEL BRUNS 

Die Prozesse von „Analysieren“ und „Reflektieren“ entsprechend denjenigen von „Dekonstruktion“ (Auseinandernehmen) und „Rekonstruktion“ (Zusammenfügen, Synthetisieren). 

Die zwei Werke, die von Rahel Bruns hier zu sehen sind, beruhen auf mehreren Phasen des Auseinandernehmens, Zusammenfügens und Weiter-Bearbeitens eines „Grundstoffs“. Dieser Grundstoff bildet in materieller wie konzeptueller Hinsicht Korpus und Gegenstand der Arbeit. 

6a. EIN JAHR MoPo Zeitung, Leim, 2011, 90 x 23 x 34 cm

Ein Jahr lang - Januar bis Dezember 2009 - wurde die MoPo gekauft, gelesen(!), aufbewahrt und sukzessive zu einem Stapel geleimt: Es entstand ein Säule, ein Turm, ein Denkmal der zu mehr oder weniger vergilbtem Altpapier geronnenen Zeit, die - wie in den chronikalischen Installationen Hanne Darbovens - als serielle Sedimentierung in den Blick kommt. 

Dem Prozess der Kompilation folgt der Prozess der Exploration, der Mise en Abyme: Einer archäologischen Grabung  ähnlich, fräst sich ein Trichter in die Tiefe der Zeit, geht der  Vergangenheit buchstäblich auf den Grund. Dieser „Stich“ durch die Schichten der Geschichte zeitigt eine Art vertikaler Chronodendrologie, nur dass statt Jahresringen eines Baumes hier die „Höhenlinien“ der historisch gewachsenen Zeitungslagen offenbar werden. 

An den Wänden und Rändern dieses Trichters treten Einlagerungen zutage, Einschlüsse aus Bildresten von (gedruckten) Gesichtern, Körpern, Gestalten: Ein geschichtsphilosophisches „Wurmloch“ („wormhole“) tut sich auf.

Sekundiert wird diese faszinierende chronikalische Skulptur von einer objekt-gewordenen
Reflexion über das Layout und den Satz einer Zeitung wie der Hamburger MoPo: 

6b. RAHEL BRUNS
HALF-BROADSHEET I – III Zeitung auf Hartfaserplatten, 2011, 39 x 29 x 3 cm; 
19 x 12 x 2,5 cm; 43 x 27 x 3 cm

Auf Hartfaserplatten aufgezogen und vielfältig bearbeitet, blickt uns mit diesen Tafeln der Zeitungs-SATZ (Satzspiegel, Layout) als solcher entgegen: Struktur ohne Text, Plan-Rechtecke zur Sinn-Befüllung.  Die Anmutung einer Laubsägearbeit fügt der Abstraktion einen betont laienhaften Touch hinzu, grossflächig auf den dürren Satzraster applizierte Zeitungsbilder zeigen - deutlich sozusagen „prähistorische“ - Knochen womöglich menschlicher Extremitäten. 

Ein neben dem Satzspiegel ebenso charakteristisches Merkmal der Tageszeitung mit kommt der Extrapolation diverser Personen- und Figurenfotos aus der MoPo  zum Tragen: Die in Lagen gefaltete Faktur der Zeitung und die dazu nötigen, 4 Seiten umfassenden Druckbögen führen alle möglichen Inhaltsbestandteile in oft grotesker Weise zusammen. Mitunter trägt der von der Künstlerin aufgetragene Lack dazu bei, die Verso-Seite eines Blattes deutlich durchschimmern zu lassen. 

Die präparierte Tageszeitung erscheint damit im Werk Rahel Bruns’ als Verdinglichung von Zeit und ihrem Vergehen, als sinnfälliges Anwachsen von Historie, als Schichtung von bunt bedrucktem Tabloid-Papier. Die Zeitung als Gefäß („vessel“) zur Ein- und Ablagerung historisch bedingter Information; die Zeitung als Plan und Gegenstand der „Information“, die Zeitung als geradezu landschaftliche Formation, deren Geologie freigelegt wird. 

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7. BOSKO GASTAGER
FEAT. VULCANO 2017, Bleistift auf Papier, 52 x 42cm
Zwei Studien aus der Serie: „Der Ätna ist schön, aber der Vesuv ist schon besser.“

Bosko Gastagers Studien sind von seinem Alter Ego - hier ist es „Volcano“ (als Entität, als Kraft, als Idee, als Prinzip) - inspiriert und stellen die einzigen Werke dieser Ausstellung dar, dies sich auf ein Naturphänomen beziehen. UND: Sie beziehen sich in einer charakteristischen Umkehrung auf das Motiv der PAUSE. 

Wie manches Andere in der Natur (Pilzsporen, Viren!) kann ein Vulkan lange „ruhen“, um dann - sozusagen zwischenzeitlich - „in Aktion“ zu treten: Lange Latenz trifft auf kurze und eruptive Akzidenz. - Der zwischen abstrakt und naturalistisch changierende Zeichenstil begleitet uns dabei, wenn wir über „Fülle und Leere“, „Fort und Da“, „Akzidenz und Latenz“ nachdenken. 

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EMPTY ROOMS 2011, Videoanimation, 16:9, Full HD, Stereo, 10 min 27 sek
Drehbuch, Kamera, Schnitt, Montage, Animation: Claudia Larcher, Sound: Constantin Popp Vertrieb: sixpackfilm
„Die Kamera frisst sich in das Nichts, sie gleitet entlang einer leeren Fläche, deren raue Körnung an minimalistische Formenspiele und Materialanalysen denken und die BetrachterInnen auf sich selbst zurückverweisen läßt. Nach einer Weile kommen neben der eingangs fokussierten weißen Wand zuerst ein langer Gang, von dem Türen abgehen, und danach hallenartige leere Räume ins Bild. Die Szenerie erinnert an verlassene, unterirdische Bunkeranlagen oder an industriell nutzbare Lager- oder Garagenräume, an Räume jenseits einer klar zuweisbaren Nutzung, an Nicht-Orte, deren zweckbetonte Architektur Larcher wie Monumente der Erinnerung an die Inhaltsleere ihrer vermutlich simplen ökonomisch verwertbaren Bestimmung in den Blick nimmt. Unterstützt durch die fein strukturierte, teilweise dröhnende Soundebene von Constantin Popp baut Larcher eine Stimmung des Unheimlichen auf. Doch Larcher geht über das Abbilden der unheimlich dröhnenden Leere hinaus, sie haucht den Räumen Leben ein, isoliert einzelne Teilelemente und lässt die Wände tanzen.“
(Sandro Droschl)

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Zwei eindrucksvolle Arbeiten reflektieren das Motiv „PAUSE und Versehrung“, indem sie sagen und zeigen, was geschehen kann, wenn man ständig (seine eigenen) Grenzen der Leistungsfähigkeit, Kraft oder des Standhalten-Könnens überschreitet. 

Beide Werke inszenieren ihre Mahnung deutlich, explizit und plakativ. Gerade aber diese Unmissverständlichkeit, ihre Konkretheit und ihre Figürlichkeit führen zu Reflexionen, die weit über den wohlmeinenden Ratschlag und Gemeinplatz hinausreichen. 

STATES OF EXHAUSTION 2014, Installation: Stühle, Textil

Holzstühle, die - wie verwundete Tiere - gleichsam „alle Viere in die Luft strecken“: Auf dem Kopf stehend, seitlich hingesunken zeigen sie verletzte Beine, geknickt, ungesund abgespreizt, in schlauchförmigen Bandagen / Verbänden steckend. 

Es ist ein klares Pathos-Bild aus dem Tierreich der Gegenstände; ein Tableau gebrochener, beschädigter Kreatürlichkeit, eine dingliche Metapher für die funktionelle Uselessness  prekär gewordener Existenzen. 

Die große affektive, emotionale Wirkung dieser Installation gewährt allerdings auch die Möglichkeit, einige der Motive weiterzudenken: Bezeichnender Weise handelt es sich hier um Sitzmöbel, also um Möbel, die gemeinhin als Objekte angesehen werden, die dem Menschen das Aus-Ruhen ermöglichen. 

Wurden sie, erhebt sch die Frage, schlecht behandelt? Wurden sie als Gebrauchs-Objekte und als praktische Alltagsbegleiter überbeansprucht, als Hilfsmittel überstrapaziert? Wurden sie achtlos weggeworfen? Haben sie AUSGEDIENT? - Wie verfahren wir mit ausgedienten …. Dingen, Menschen, Tieren: Pflegen wir sie, reparieren wir sie oder werfen wir sie auf den Müll, schieben sie ab in uneinnehmbare Räume: in den Keller, ins Altenheim, in die Klinik?




Siehe auch: www.mariahanl.com: states-of-exhaustion.

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Fragen, die auf den klinischen Komplex hinweisen, auf die medizinische Reparatur-Industrie in grossem Stil, auf die REHA-Fabriken, in welchen massenweise und wie am Fliessband funktionstüchtige Menschen wieder-hergestellt werden (sollen): 

zeigt, dass auch die Auffassung dessen, was in einer Heilanstalt geschieht und wie ein Reha-Zentrum funktioniert, eine Frage des Blickwinkels und der  Perspektive ist. 

WITHOUT A BREAK EVERYTHING HAS TO BREAK - OHNE PAUSE WIRD ALLES ZUR PAUSE 2015, C-Print auf Dibond kaschiert, 52 x 30 cm   

Die Behandlungs-Käfige, die hier in Serie dargestellt sind und in Serie funktionieren, verbildlichen das, was man „draußen“ in der Gesellschaft der angeblich Gesunden und Funktionierenden viel zu schnell verdrängt und vergisst: Wie viele Individuen „in Behandlung“ sind, wie normiert Behandlungsmassnahmen sein können, wie stereotyp Einzelfälle zur Reihenfällen werden. Dass - wie oft behauptet - für Schulmedizin und Reha-Industrie „nur der Mensch im Mittelpunkt“ stünde, möchte man aus der Perspektive dieser lakonischen Fotografie eher bezweifeln.

Der orange Therapie- und Gymnastikball widerspricht mit seinem kindlich bunten Unernst, mit seiner Beweglichkeit und natürlich mit seiner Form der kadrierten, genormten metallisch-technischen Käfig-Situation der Behandlungs-Zellen. Dieser Ball ist das dynamische Zentrum  dieser menschenleer kalten Szenerie und könnte an den munter rollenden roten Kinderball erinnern, der in Andrei Tarkowskis Verfilmung von Stanislaw Lems Roman „Solaris“ (1972) plötzlich durch die zweifelhafte Raumstation rollt: Erst das Objekt bringt die Unmenschlichkeit der Umgebung zu Bewusstsein. 

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11. JÖRG PIRINGERs maximal minimalistische  Objektinstallation widerspricht der planen und simplifizierenden Kontrast-Dichotomie von „Arbeit“ und „PAUSE“.  Sie ruft ebenso poetisch wie unterkühlt humoristisch in Erinnerung, dass es gar nicht so wenige Werkzeuge, Arbeitsmittel, Tools, gibt, die uns momentan eher aufzuhalten als weiterzubringen scheinen.

BALD 2015, minimal Video, 3cm Screen, Holz, Acrylglas, Elektronik

Die enervierenden Lade- , Speicher- und Installationsvorgänge schieben den Fortschritt mancher Arbeit ins Unbestimmbares auf und spotten der vektoriellen Intentonalität des handhabenden Menschen. Wer hier der Master ist und wer der Slave, kann angesichts des nur langsam (oder gar nicht) voran rückenden „progress bar“ mitunter recht fragwürdig werden. - Das Motiv des Zauberlehrlings klingt hier an. 

Die Lakonie der Inszenierung, die Reduktion der Dimension, der sehr verhaltene Rhythmus des periodisch aufblinkenden Wortes „BALD“ verleiht der Installation etwas Meditatives, in welches sich stille Ironie mischt. 

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Wenn Sie nach der Besichtigung der Ausstellung in den Garten schreiten, erwarten Sie dort 

12. ROMANA HAGYOs bedruckte Liegestühle
WIEVIEL GENÜGT UND WANN? 2015, Liegestühle bedruckt.

Diese Objekte teilen mit anderen „informierten“ Gebrauchs-Gegenständen die Eigenschaft, dass man die ihnen eingeschriebene Botschaft nicht mehr entziffern kann, wenn man den Gegenstand funktional bestimmungsgemäß verwandet: 

Man vermag die Einschreibungen ab jenem Moment nicht mehr zu lesen, da man den Gegenstand benützt oder - wörtlich - BESITZT.

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13. KATHARINA HINTERLECHNER
MOGA MOGA 2015, Ölpastell auf Sperrholzplatte, 120 × 190 cm 

Katharina Hinterlechners plakativ figürliches Großbild eines geradezu quintessenziellen „Pausenbrots“ amerikanischer Zubereitung („Sub“) erinnert daran, dass die Rekreation ja auch der Nahrungsaufnahme dient bzw. daran, dass Nahrungsaufnahme häufig als Conditio sine qua non des PAUSierens gilt. 

Entsprechend wird das „Snacken“ oder „Naschen“ zum Synonym für PAUSE, zum Symbol für körperliche Regeneration und zum Signal der (Selbst-) Belohnung. Anders gesagt, wird der Fastfood-Snack zum Platzhalter für den schnellen Konsum standardisierter Nahrung in standardisierten Situationen zu standardisiertem Preis. - Auch hier wäre darüber nachzudenken, ob auch die PAUSE (dem Menschen gleich) „nur vom Brot alleine“ lebt. 

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